Am heutigen bundesweiten „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ fand im Festsaal des ZfP Klinikum Schloß Winnenden die zentrale Gedenkfeier der ZfP-Gruppe Baden-Württemberg statt. Unter dem Titel „‘Man wird ja wohl noch sagen dürfen‘…“ widmete sich die Veranstaltung dem Umgang mit menschenverachtender und demokratiefeindlicher Sprache – früher und heute.
Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der historischen Rolle der ZfP. Während der NS-Zeit wurde das Wort „lebensunwert“ verwendet, um psychisch kranke und behinderte Menschen zu kategorisieren, zu stigmatisieren und im Zuge der sogenannten „Euthanasie-Aktion“ zu ermorden. Dieses Wort „lebensunwert“ bestimmte das Schicksal von 300.000 Menschen, die dieser Ideologie zum Opfer fielen, darunter 396 Patientinnen und Patienten der damaligen Heilanstalt Winnental – dem heutigen Klinikum Schloß Winnenden. Sie wurden in den Jahren 1940/41 in den Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar ermordet.
Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden-Württemberg, sagte in seiner Ansprache: „Demokratie lebt vom Wissen um ihre Geschichte. Wir müssen informieren, aufklären und die Erinnerung auch an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte stets wachhalten, damit nie wieder geschieht, was nie wieder geschehen darf. Die Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg leisten mit ihrer exzellenten Aufklärungs- und Forschungsarbeit, mit Mahnmalen und Ausstellungen, mit Informationsveranstaltungen und dem jährlichen Begehen des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus vorbildliche Arbeit. Und zeigen: Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie ist kein Zustand und nicht auf Ewigkeit garantiert. Wir müssen jeden Tag hart um sie kämpfen. Das ist vor allem in Zeiten wie diesen wichtig, wenn der Ton in Debatten immer schärfer und unversöhnlicher wird, wenn antidemokratische Ideen demokratisch verpackt und präsentiert werden, wenn die Hemmschwelle sinkt und Sprache dafür missbraucht wird, um Menschen ans Extreme zu gewöhnen und Radikalität anschlussfähig zu machen. Das dürfen wir nicht zulassen! Wir alle müssen Verantwortung übernehmen – und für Vielfalt und Respekt, Akzeptanz und Freiheit, Zusammenhalt und eine starke Demokratie im Land einstehen.“
Am Programm der Gedenkveranstaltung beteiligten sich auch die Stadt Winnenden und eine Schulklasse der benachbarten Schule. Das Quartett des Lessing-Gymnasiums verdeutlichte in dem Stück „Monologe gegen das Vergessen“ die kontinuierliche (sprachliche) Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in unterschiedlichen Epochen. Es warnte am Schluss davor, dass das Gestern nie völlig überwunden ist und leicht zum Heute werden könnte.
Auch die feierliche Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg (KZ-Gedenkstätte) in Ulm bot die Möglichkeit, die Rolle von Sprache als Instrument der Ausgrenzung bewusst zu reflektieren. Die Wanderausstellung „‘Man wird ja wohl noch sagen dürfen‘…“ präsentiert acht Schlüsselbegriffe menschenverachtender und demokratiefeindlicher Sprache in Geschichte und Gegenwart. Menschen verbal niederzumachen und die Demokratie anzugreifen, gehörte zum Wesen des Nationalsozialismus. „Lügenpresse“ war zum Beispiel ein Kampfbegriff, der zwischen 1933 und 1945 in aller Munde war und heute wieder Verwendung findet: in sozialen Medien, im Alltag und in der Politik rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien.
Die Ausstellung bleibt auch nach dem Gedenktag in der Region und kann bis zum 25. März im Klinikum Schloß Winnenden (Schloss Mitte) besichtigt werden. Die Öffnungszeiten sind von Montag bis Freitag, 9 bis 16 Uhr.
Psychisch kranke Menschen im Nationalsozialismus
Der sogenannten „Euthanasie-Aktion“ fielen während des Zweiten Weltkriegs rund 300.000 psychisch Kranke und Behinderte zum Opfer. Sie galten als „lebensunwert“. Allein in den staatlichen Heilanstalten starben während des Nationalsozialismus bis Kriegsende mindestens 90.000 Patientinnen und Patienten durch Hunger und schlechte Versorgung oder sie wurden mit Medikamenten ermordet. Mehr als 70.000 Männer, Frauen und Kinder wurden in sechs Vernichtungsanstalten vergast. In der Tiergartenstraße Nr. 4 in Berlin wurde der Massenmord zentral organisiert, daher ist die Aktion auch unter der Abkürzung „T4“ bekannt. In Grafeneck bei Münsingen, der ersten von sechs dieser Anstalten, kamen 10.654 Menschen ums Leben. Das Personal dieser Tötungsanstalt arbeitete später in den Vernichtungslagern von Auschwitz, Treblinka, Sobibor und Belzec.
Die Zentren für Psychiatrie Baden-Württemberg setzen sich aktiv mit ihrer Vergangenheit auseinander und sehen diese Aufarbeitung als wesentlichen Teil ihres Beitrags zur gesellschaftlichen Bildungsarbeit.